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10 Okt Interview im Magazin „Vox humana“

Dieses Interview erschien in der Herbstausgabe der Fachzeitschrift für Gesangspädagogik „Vox Humana“ im Oktober 2018 als Rückblick auf meinen Gesangsworkshop an der Universität für Musik in darstellende Kunst Wien.

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Am 8. Mai 2018 fand der dritte „Gesangsworkshop mit Kamingespräch“ an der MDW, Antonio Salieri Institut für Gesang und Stimmforschung in der Musikpädagogik, statt (Projektleitung: Martina Steffl-Holzbauer, Institutsleitung: Judith Kopecky). Mit Bariton Klemens Sander konnte auch heuer wieder ein ausgezeichneter Gastreferent gewonnen werden. Im Mittelpunkt des diesjährigen Workshops stand der Liedgesang.

Martina Steffl-Holzbauer: Klemens, wann und wodurch wurde dein Interesse an der Musik geweckt?

Klemens Sander: Ich bin in Oberösterreich auf einem kleinen Bauernhof aufgewachsen. Bei uns auf dem  Land gab es seit jeher eine große Blasmusiktradition. Mein Vater spielte Tuba, meine Brüder Horn und Schlagzeug und ich lernte Trompete. Klassische Musik war für mich damals überhaupt kein Thema. Aber ich habe immer sehr gern gesungen. Meine Eltern haben mich daher zu den Florianer Sängerknaben geschickt und so den Grundstein für meine Gesangsausbildung gelegt. Erst als ich dort mit 10 Jahren aufgenommen wurde, bemerkte ich, dass es noch mehr gab als Blasmusik und Tina Turner.

Wie ging es mit deiner musikalischen Entwicklung nach den Sängerknaben weiter?

Danach besuchte ich das Musikgymnasium in Wien und studierte gleichzeitig Trompete an der Musikhochschule. Für die Trompete konnte ich mich jedoch nicht auf Dauer begeistern, weshalb ich, vor allem um meine Eltern zu beruhigen und um etwas „Vernünftiges“ zu erlernen, mit dem Maschinenbau-Studium begann. Mein Herz hing jedoch immer am Gesang, was mir dann auch endlich klar wurde. So habe ich letztendlich mit 21 Jahren die Aufnahmeprüfung für das Gesangsstudium gemacht.

Gesangsausbildung und gleichzeitiges Erlernen eines Blasinstrumentes – eine Thematik, die uns Lehrende immer wieder beschäftigt: Welche Erfahrungen hast du diesbezüglich als Sänger und Pädagoge gemacht?

Von großem Vorteil war für mich der lange Atem, den ich seit meiner Kindheit an der Trompete trainiert habe. Problematisch hingegen ist für den Sänger beim Trompetenspiel, dass der Primärton an den Lippen produziert wird und sich somit ein Druck im Kehlkopfbereich und im Ansatzrohr aufbaut, der beim Singen vermieden werden soll. Außerdem wird der Unterkiefer durch die Lippenspannung fixiert. Ansonsten halte ich jede instrumentale Ausbildung vor einem Gesangstudium für sehr erstrebenswert, da im Allgemeinen die Ausbildung am Instrument früher beginnt und so das Gehör schon besser geschult wird.

Von vielen gemeinsamen Mozart-Requiem-Aufführungen weiß ich, dass du dein Einstiegssolo „Tuba mirum spargens sonum“ mühelos auf einem Atem singst. Wie schaffst du das?

Das Wichtigste ist: Man darf nicht nervös sein, sonst hat man schon verloren. Die Luft muss immer strömen. Man sollte nicht versuchen, Luft zu sparen, sonst wird der Stützapparat fest und man kann nicht das gesamte Luftvolumen nutzen. Natürlich ist man aber auch auf die Phrasierung des Posaunisten angewiesen. Ein versprochenes Kaltgetränk nach dem Konzert bewirkt da Wunder!

Nun möchte ich zum eigentlichen Schwerpunkt unseres Workshops übergehen, dem Liedgesang. Welche Bedeutung hat er für dich in deinem künstlerischen Wirken?

Dem Liedgesang gilt meine große Leidenschaft. Die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten haben mich schon immer sehr fasziniert – jedes Lied ist wie ein eigener kleiner Kosmos, fast wie eine eigene kleine Oper. Es erzählt eine Geschichte und transportiert tiefe Empfindungen. Und das alles komprimiert auf zwei bis drei Notenblättern. Lied ist sozusagen maximales Gefühl auf minimalem Raum. Man ist sehr unabhängig, kann seine eigenen interpretatorischen Vorstellungen umsetzen, während man in der Oper bis zu einem gewissen Grad von Dirigat und Regie abhängig ist. Liederabende ermöglichen eine sehr freie Programmzusammenstellung, und es macht viel Spaß, hiermit zu experimentieren. Außerdem reizt mich am Liedgesang der direkte Kontakt zum Publikum, denn die intimere Situation ermöglicht eine viel intensivere Kommunikation mit den Zuhörenden. Und das Beglückendste ist, während des Konzertes in den Gesichtern des Publikums zu lesen, ob die „Botschaft“ angekommen ist. Dazu ist Liedgesang wie eine Massage für die Stimme. Wenn ich nach großen Partien Lied singe, trainiere ich wieder die feinen Randschwingungen. Solange das Zurücknehmen der Stimme funktioniert, bleibt die Stimme frisch und elastisch.

Welchen Stellenwert hatte der Liedgesang während deines Studiums?

Einen sehr großen! Zu Beginn des Studiums habe ich fast nur Lied gesungen und wurde schon im dritten Studienjahr des Grundstudiums in die Liedklasse von David Lutz aufgenommen. Später hatte ich das Glück, das Liedstudium in der Klasse von Robert Holl fortzusetzen. Zusätzlich habe ich viele sehr bereichernde Impulse in Meisterkursen bei Hartmut Höll, Thomas Hampson und Gundula Janowitz erhalten. Im Studium habe ich mich auch viel mit unbekannterem Liedrepertoire beschäftigt. Ohne „Interpretationsvorlagen“ wie sie beim „gängigen“ Liedrepertoire zuhauf vorhanden sind, ist man gezwungen, sich mit dem Text und der Aussage viel intensiver auseinanderzusetzen und so seinen ganz eigenen Interpretationsstil zu finden, den man dann auch auf das gesamte Liedrepertoire anwenden kann.

Du hast den Studierenden im Kamingespräch den Rat gegeben, sich im Studium ein großes Lied-Repertoire zu erarbeiten, da später vielleicht keine Zeit mehr dazu bleibt. Was meintest du damit konkret?

Einen Liederabend vorzubereiten dauert erheblich länger, als eine Opernpartie zu lernen. Nach dem Studium, wenn man schon im Beruf steht, fehlt meistens schlichtweg die Zeit, viel neues Liedrepertoire zu lernen. Das Repertoire, das ich im Studium gesungen habe, ist auch heute sehr schnell wieder abrufbar. Und ich muss auch die Tatsache akzeptieren, dass ich mit 20 schneller und leichter auswendig gelernt habe als mit 40.

Früher Studiertes wieder zu erarbeiten, bedeutet mitunter auch, alte technische Fehler mitaufzuwärmen. Kennst du dieses Problem auch und wenn ja, wie gehst du damit um?

Ja, allerdings – eingelernte Fehler halten sich leider sehr lange! Aber die Stimme entwickelt sich ja auch über die Jahre weiter, wodurch man mehr technische Möglichkeiten zur Verfügung hat, um alte Fehler zu erkennen und auszumerzen. Mir hilft es, „alte“ Lieder beispielsweise einen Ton höher zu üben, wodurch man die Töne wieder ganz neu „in die Kehle“ bekommt. Danach wird das Lied auch in der ursprünglichen Tonart viel leichter fallen.

Es gibt von dir inzwischen drei Solo-CDs auf dem Markt: „Schwanengesang“, „Die schöne Müllerin“ und „Das lyrische Intermezzo“. Welche Beweggründe gab es für dich, Solo-CDs aufzunehmen?

Ehrlich gesagt, bin ich lange darum herumgeschlichen, überhaupt eine CD aufzunehmen. Ich dachte immer, so eine Momentaufnahme der Stimme verfolgt einen dann ein ganzes Sängerleben lang. Irgendwann habe ich diese Meinung revidiert und den Standpunkt vertreten, dass ich den vielen Interpretationen der großen Zyklen auch noch etwas hinzuzufügen vermag. Ich wollte mein eigenes Idealbild einer schlanken, schnörkellosen Liedinterpretation verwirklichen, die die Musik ohne Überausdeutung sprechen lässt. So puristisch wie möglich sollte es sein. Die erste CD war eine echte Herausforderung, nicht unbedingt die Aufnahme, sondern die Organisation. Da der CD-Markt ja sehr übersättigt ist und fast niemand mehr wirklich Geld mit CD-Produktionen verdient, habe ich mich dazu entschlossen, die CD selbst zu produzieren, mit einem internationalen Vertrieb über ein kleines, feines Label. Erst da bin ich darauf gekommen, dass heute ein großer Teil der CDs von den Künstlerinnen und Künstlern selbst produziert wird. Für mich war dies die beste Variante, denn so konnte ich alles, bis zum Schnitt und Mix, so gestalten, wie ich es mir vorgestellt habe. Es war natürlich sehr viel Arbeit – aber bei den beiden folgenden CDs ist mir diese Erfahrung zugute gekommen.

Weshalb fiel die Wahl deiner ersten CDs auf Schubert?

Schubert ist mir als Liedkomponist wahrscheinlich am nächsten. Der „Schwanengesang“, besonders die Heine-Lieder daraus, haben mich immer schon sehr fasziniert. Es ist ein Jammer, dass Schubert danach gleich gestorben ist – von diesem neuen, doch sehr anderen Schubert-Stil hätte ich gern noch viel mehr gehört (und gesungen!). Die Heine-Lieder sind für mich durch die sehr reduzierte Klavierbegleitung sozusagen die Essenz von Text und Emotion. Mit ein paar wenigen  Akkordkombinationen eine möglichst große Wirkung zu erzielen, schaffen meiner Ansicht nach nur Schubert und vielleicht noch Mahler. Und für den Schwanengesang hatte ich mit Justus Zeyen einen wundervollen Partner am Klavier, mit dem ich zuvor schon mehrere Liedprogramme erarbeitet hatte.
Bis zur nächsten CD „Die schöne Müllerin“ dauerte es dann drei Jahre. Die Auswahl dieses Zyklus ist einfach meiner besonderen Leidenschaft für Schubert geschuldet. Außerdem wollte ich die weitverbreitete Meinung widerlegen, dass die „Müllerin“ nur Tenöre singen.

Du hast diese zweite CD als Experiment in mehrerer Hinsicht bezeichnet. Inwiefern?

Diesmal begleitete mich meine Frau – die nicht nur Kulturmanagerin, sondern auch eine fantastische Pianistin ist – am Klavier, und erstmals haben wir die CD zu einem großen Teil über Crowdfunding finanziert. Die Zusammenarbeit mit dem Ehepartner birgt an sich einige Tücken, vor allem, wenn jeder seine eigenen Ideen verwirklicht sehen will. Wir hatten zwar eine sehr ähnliche Interpretationsvorstellung, aber des Öfteren gab es auch wegen Kleinigkeiten heftige Auseinandersetzungen! Andererseits wurde alles ausdiskutiert, so dass am Ende ein schönes, rundes Ganzes daraus geworden ist. Ein Journalist hat es sehr passend mit „Schubert aus einem Guss“ betitelt und die CD wurde mit einem Supersonic Award ausgezeichnet und für die International Classical Music Awards nominiert.

Und danach folgte der Schwenk zu Schumann …

Genau, die dritte CD, „Das lyrische Intermezzo“, die bereits ein Jahr später erschien, ist ein echtes Herzensprojekt, das Schumanns „Dichterliebe“ in einem völlig neuen Licht zeigt. Durch die Einbettung in den ursprünglichen Kontext von Heines Gedichtzyklus „Lyrisches Intermezzo“ wird die Geschichte der Dichterliebe ganz neu erzählt. Dabei werden die von Schumann vertonten Texte mit den unvertonten, teilweise sehr ironischen Gedichten kombiniert. Cornelius Obonya liest unglaublich fesselnd und lässt so die Hörerinnen und Hörer neue Facetten an einem sehr bekannten Werk entdecken. Die „Dichterliebe“ ist plötzlich nicht mehr nur eine, wenn auch unglückliche, romantische Liebesgeschichte, sondern erhält eine weitere inhaltliche Dimension.

Welche Organisationsarbeit steckt in einem derartigen Projekt?

Die Probenarbeit und Aufnahme waren eigentlich der kleinere Teil der Arbeit. Das weitere „Drumherum“ hat unglaublich viel Zeit gekostet. Ein großer Brocken war die Finanzierung über Crowdfunding. Diesen Weg sind wir bei der „Müllerin“ und beim „Lyrischen Intermezzo“ gegangen. Es ist fantastisch, dass es die Möglichkeit gibt, Menschen über eine Crowdfunding- Plattform schon vorab für ein Projekt zu begeistern, das erst mitten im Produktionsprozess steht. Wir haben extrem viel Energie und Zeit in die Crowdfunding-Kampagnen gesteckt und sind nicht müde geworden, Fans über Social Media und Newsletter zu mobilisieren, sich an dem Projekt zu beteiligen. Das Schöne ist, dass am Ende alle etwas davon haben. Viele haben natürlich die CD selbst als „Belohnung“ für ihr Engagement in der Crowdfunding-Kampagne ausgewählt, aber es gab auch ausgefallenere Dinge, die wir angeboten haben – von einer Schubert-Führung durch Wien bis hin zum Künstlerdinner oder einem selbstgezogenen Sander-Apfelbaum. Mit der Auslieferung aller Crowdfunder-Wünsche waren wir fast ein ganzes Jahr beschäftigt.

Worauf hast du in diesen drei Liederzyklen inhaltlich und musikalisch besonderen Wert gelegt?

Beim „Schwanengesang“ ist für mich der Schlüssel eine geänderte Liedfolge, die mit den Rellstab-Liedern beginnt und mit den Heine-Liedern, in der von ihm selbst vorgesehenen Reihenfolge, fortgesetzt wird. Dadurch ergibt sich eine stringente Handlung innerhalb der Gruppe. Außerdem bilden die Tonarten auf diese Weise einen chromatischen Quartfall mit einer Terz-Verwandtschaft zwischen den letzten beiden Liedern. Ich glaube nicht, dass dies ein Zufall ist. Der Verleger hat jedoch die Reihenfolge so belassen, wie er sie aus dem Nachlass bekommen hat und sie als „Schwanengesang“ veröffentlicht. Das letzte Lied, das Schubert komponierte, „Die Taubenpost“ nach einem Gedicht von Seidl, wurde vom Verleger hinzugefügt, damit der „Schwanengesang“ nicht aus 13 Liedern besteht. Dieses habe ich mit vier weiteren Liedern nach Seidl- Gedichten ergänzt. Dadurch ergeben sich für mich 3 Liedgruppen von Schubert, die eigentlich mit einem Liedzyklus wenig gemein haben.

Beim „Lyrischen Intermezzo“ war es die Einbettung in die ursprüngliche Umgebung, aus der Schumann Heines Gedichte zur Vertonung entnommen hat. Wie zuvor erwähnt, ergibt sich dadurch ein anderer emotionaler Zusammenhang der Lieder, der die Sache – wie ich finde – viel spannender und vielschichtiger macht.

Die „Schöne Müllerin“ hat mich immer schon gereizt, weil sie eine enorme emotionale Bandbreite zeigt, die sehr viele Möglichkeiten der Gestaltung einräumt. Dieser Zyklus ist eine echte Achterbahnfahrt der Gefühle, der einen mitreißt und interpretatorisch bis ins kleinste Detail fordert und beschäftigt. Hier war es mein Ziel, die Interpretation sehr unmittelbar, puristisch und „echt“ anzulegen, denn für mich ist Schuberts Musik besonders in ihrer Schlichtheit am Ergreifendsten.

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