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01 Sep Klang:Punkte: Artikel zu Schuberts „Winterreise“

Folgender Artikel von Renate Publig erschien in der 46. Ausgabe des Magazins Klang:Punkte des Musikverlags Doblinger anlässlich der Veröffentlichung der neuen Bearbeitung des Zyklus für Streichtrio von Shane Woodborne.

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Die „Winterreise“ von Franz Schubert im September? Warum nicht. Schuberts unübertroffener Zyklus hat auch außerhalb der titelgebenden Jahreszeit Relevanz. Letzten Endes symbolisiert der knirschende Schnee unter den Schuhen, das berstende Eis oder die bittere Kälte die Befindlichkeit des „Wanderers“.

Fassung für Streichtrio und Mittlere Stimme
Für Ausübende wie für Zuhörer bedeutet es eine Abwechslung, anstelle der Originalbegleitung, die Schubert für Klavier setzte, dieses Werk in der Klangpalette von Streichinstrumenten zu erleben – eine Überlegung, der auch Komponist und Arrangeur Shane Woodborne folgte und eine Version für Streichtrio und Mittlere Stimme kreierte. Was bewog Woodborne zu dieser Bearbeitung? „Der erste Impuls zu dieser Fassung der ‚Winterreise‘ für Streichtrio und Stimme kam vom Kölner ‚Ensemble Unterwegs‘. Die Idee hat mich von Anfang an fasziniert, denn die Winterreise ist ein ständiger Begleiter meines Lebens als Musiker, ein Werk zu dem ich immer wieder zurückkehre. Wichtig war für mich dabei, dass die Intimität, die für diesen Zyklus so wesentlich ist, nicht verloren geht. Daher wusste ich, dass ich keine üppige Besetzung wollte und habe mich deswegen für ein Streichtrio entschlossen.“ Dabei unterstreicht Woodborne den Gemütszustand des „Wanderers“ durch das Klangspektrum von Violine, Viola und Violoncello und lässt die Instrumente streckenweise hohl, dann wieder tröstend, aber auch mal wütend klingen.

Festival „Schubert in Gastein“
Diese Bearbeitung ist letzten Winter bei Doblinger erschienen; doch über Musik zu sprechen, man weiß es – Klänge lassen sich schwer in Worte fassen. Am 14. September gibt es jedoch die Möglichkeit, diese Version in Bad Gastein beim Festival „Schubert in Gastein“ zu erleben. Den Baritonpart übernimmt Klemens Sander, der auf seinen CD-Aufnahmen (etwa mit Schuberts „Die schöne Müllerin“ oder auf der CD „Lyrisches Intermezzo“ mit der „Dichterliebe“ von Robert Schumann) die Qualität seiner Lied-Interpretation unter Beweis stellt.

„Willst zu meinen Liedern deine Leier dreh‘n?“
Wie die Winterreise ausgeht, obliegt klarerweise der Deutung der Interpreten: Oft wird der „Leiermann“ als Metapher für den Sensenmann, den Tod gesehen, denn dem Motiv der Todessehnsucht begegnet man häufig in diesem Zyklus. Doch wenn auf 23 aufgewühlte (und aufwühlende) Selbstgespräche die vergleichsweise monotone Stimmung dieses 24. Liedes folgt, ließe dies die Deutung zu, dass die Gefühlsebene des Wanderers quasi in einem Standby-Modus geraten ist; dass der Erzähler langsam in die Lage kommt, mit einer anderen Person über seine Gefühle zu sprechen (… „willst zu meinen Liedern deine Leier drehen?“) – mit jemandem, der es ebenfalls gewohnt ist, „verbellt“ zu werden.

Klemens Sander
Wie deutet Klemens Sander die „Winterreise“? „Im Gegensatz zur ‚Schönen Müllerin‘, in der die Liebe zur Müllerin und sogar die Müllerin selbst auch nur eine Traumgestalt sein könnten, existiert die Liebe des Wanderers in der ‚Winterreise‘ wahrhaftig und konkret. In der ‚Müllerin‘ werden sprunghaft alle Facetten der Gefühlswelt einer am Ende unglücklichen Liebe beleuchtet, dagegen steigt die ‚Winterreise‘ emotional auf einem bereits sehr ‚tiefen‘ Level ein und hält dieses bis zum Ende. Der schon zu Beginn von der Liebe herb enttäuschte Wandergesell verlässt den Schauplatz seiner Zurückweisung, in der Hoffnung auf Linderung seiner Qualen – er wandert durch die winterliche Landschaft, die für mich auch die Kälte, die Erstarrung seines Herzens symbolisiert. ‚Im Dorfe‘ wird ihm schmerzlich bewusst, dass er ein Ausgestoßener ist – ‚was will ich unter den Schläfern säumen‘. Er hat mit den Träumern, die sich der Illusion eines besseren Lebens, einer erfüllten Hoffnung hingeben, nichts mehr gemeinsam. In gewissen Sinn verachtet er sogar die in ihrer Illusion Zufriedenen. Er ist ein Suchender ohne Ziel, gepeinigt von Todessehnsucht, die besonders im ‚Lindenbaum‘, in der ‚Krähe‘, im ‚Wegweiser‘ und im ‚Wirtshaus‘ Ausdruck findet. Doch auch diese Sehnsucht wird nicht gestillt. Aus meiner Sicht endet die Winterreise nicht unausweichlich mit dem herbeigesehnten Tod, sondern, eigentlich noch viel schlimmer, in der hoffnungslosen Ausweglosigkeit.“

Zum Abschluss lassen wir noch einmal den Arrangeur dieser Bearbeitung zu Wort kommen, Shane Woodborne über den Ausgang der „Winterreise“: „Es bleibt wohl offen, wie und ob die ‚Winterreise‘ weitergeht. Das wird jeder für sich selbst entscheiden müssen. Für mich persönlich ist der ‚Leiermann‘ das Sinnbild des Todes selbst, der armselig und zitternd den weiteren Weg begleiten wird – auf einer Straße, die noch niemand zurückging.“ Dieser Zyklus erlaubt eben viele Deutungen. Daher genug der Worte – auf nach Bad Gastein, um diese Interpretation zu erleben!

14. September 2018
SCHUBERT: WINTERREISE
Festival „Schubert in Gastein“ | Bad Gastein

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